29.12.2011

Berlin's Diary - 1. Day

So langsam realisiere ich, was hier gerade passiert. Was mit mir passiert, die Veränderung die momentan noch kaum spürbar, aber dennoch vorhanden ist. Zweifel hab ich keine, ich weiß dass ich das Richtige tue.
Dennoch bin ich mir bewusst, was für ein riesiger Schritt es ist. Es wird alles verändern, aber was habe ich hier schon was mich abhalten könnte? Hier ist nichts was mich hält.
Ich bin vor 4 Jahren für die Liebe hergezogen, ein Fehler den ich zu dem Zeitpunkt schon zum zweiten Mal machte. Aber man weiß ja vorher nie was passieren wird. Es sah auch ganz gut aus. Ich war generell schon immer sehr unruhig und hielt es nie lange an einem Ort aus. Kann damit zusammen hängen, dass ich als Kind schon sehr oft mit meinen Eltern umgezogen bin. Jedenfalls wurde mir immer recht schnell langweilig, ich brauche die Veränderung und die Abwechslung wie andere die Luft zum atmen.

Es gab eine Zeit - in etwa genau ein Jahr lang - in der ich quer durch Deutschland gereist bin, weil ich es in der Wohnung nicht ausgehalten habe. Mir ist die Decke auf den Kopf gefallen, es ging einfach nicht. Kennt ihr diese innere Unruhe? Das Gefühl, das einen regelrecht dazu zwingt, raus zu gehen und was Anderes als das ganze Bekannte zu sehen. Irgendwann kam dann doch der Zeitpunkt, an dem ich dachte, ich müsse nun langsam mal sesshaft werden, ich kann ja schlecht für den Rest meines Lebens nur durch das Land reisen. Ich muss mir doch ein Leben aufbauen, Geld verdienen. Ich lernte durch meinen besten Freund meinen jetzigen Ex kennen, damals war es nur freundschaftlich. Aber wie das Leben manchmal so spielt, wurde daraus nach einem halben Jahr mehr und ich hielt die Entfernung zwischen uns nicht lange aus. Es waren immerhin knappe 2 Stunden Autofahrt, die ich jedes Wochenende zurück legen musste um bei ihm zu sein. Irgendwann dehnten wir die Zeit auf mehrere Wochen hintereinander aus, lebten quasi auf Probe zusammen und fanden dass es funktioniert. So zog ich also genau ein Jahr, nachdem ich in eine Wohnung im schönen NRW gezogen war, dort wieder aus und hierher nach Niedersachsen. Ich fand Arbeit, wir hatten gemeinsame Freunde und planten sogar zu heiraten, immerhin waren wir 3 Jahre verlobt. Wie es aussah, war ich endlich angekommen, hatte mein Leben und war am Ziel.
Doch wie es halt manchmal so läuft, merkte ich nach einiger Zeit dass es nicht das war, was ich wollte - nicht bis ans Ende meiner Tage. Trotzdem hielt ich an dieser Illusion fest, vielleicht aus Angst das Vertraute zu verlieren, vor einem Neuanfang zu stehen...allein zu sein...Ich war es nicht mehr gewohnt, frei zu sein. Machen zu können was ich will. In der Beziehung war ich in einen goldenen Käfig aus Eifersucht eingesperrt, ich konnte mich nicht rühren, so fest war ich gekettet. Meine Flügel hatten keine Chance, sich aus zu breiten und so fristete ich ein Dasein als kleiner kümmerlicher Kanarienvogel im Gefängnis einer Liebe, die zu dem Zeitpunkt schon keine mehr war. Trotzdem klammerte ich mich voller Furcht an diese Beziehung, ich hatte dafür alles aufgegeben. Meine Familie und Freunde zurück gelassen. Alles was ich hier hatte, hatte ich durch ihn. Ok, nicht alles, aber fast.
Eines Tages hatte ich dann doch genug. Meine Fesseln schnitten mir ins Fleisch und drückten das Blut aus meinen Gliedmaßen. Ich musste die Notbremse ziehen bevor es meine Seele auffraß...ich musste einfach. Es war nicht einfach aber auch nicht so schwer wie ich dachte. Die Liebe war schon lange weiter gezogen und es brachte uns beiden nichts, diese völlig sinnlose Beziehung so weiter zu führen. Natürlich: wir waren lange zusammen..3 3/4 Jahre. So eine lange Zeit einfach weg zu werfen fällt niemandem leicht. Immerhin hat man die Person einmal geliebt auch wenn man sich nicht mehr daran erinnern kann, warum und was eigentlich. Aber wenn es keinen Sinn mehr und man das gemeinsame Ziel schon längst aus den Augen verloren hat, sollte man ein Ende machen. Das hab ich also getan und es hat mich befreit. Ich konnte regelrecht spüren wie die rostigen Schlösser knarrten und krächzten, die Ketten klirrten und es einen Knall gab als die Glieder rissen und die Fesseln zu Boden fielen. Ich war frei!

Zu dem Zeitpunkt dachte ich noch, ich habe hier meinen Frieden gefunden, das Gefühl der inneren Unruhe war fast verstummt und nicht mehr stark genug um mich durch das Land zu treiben. Ich beschloss hier zu bleiben. Warum auch nicht? Dachte ich. Doch mit der Zeit ging es mir schlechter und schlechter. Nicht nur Psychisch sondern auch Physisch. Mein Arzt war irgendwann schon völlig verzweifelt weil er nicht mehr wusste was er tun sollte um heraus zu finden, was mir nun fehlt. Monatelang musste ich sämtliche Behandlungen über mich ergehen lassen, mir wurden Unmengen von Blut abgezapft und so ziemlich alle Tests gemacht die in Deutschland erlaubt sind. Ohne Erfolg. Freunde legten mir nahe, dass es von meiner Psyche kommen könnte, aber zu dem Zeitpunkt wollte ich so was nicht wahrhaben - ich wollte nicht zum Seelenklempner und einem mir völlig fremden Menschen aus meinem Leben erzählen. Ich hab so was schon immer ganz gern mit mir selber ausgemacht und es behagt mir nicht wenn Fremde zu viel aus meinem Leben wissen.
Mit der Zeit aber wurde mir klar, dass sie recht hatten. Der ausschlaggebende Punkt war der Tag, an dem ich mit einem Freund spontan nach Berlin fuhr.  
Ich gebe zu, ich mochte Berlin vorher nicht sonderlich. Es war gute 12 Jahre her dass ich zuletzt dort war und zu dem Zeitpunkt fand ich es dort schrecklich. Menschenmassen, viele Straßen auf denen man sich ganz schnell verlaufen kann. Danach war ich geheilt - Großstädte waren einfach nichts für mich, man hat immer das Vorurteil dass eine Großstadt nur aus grauen Plattenbauten besteht die eng aneinander gereiht sind.
Wir saßen an einem Sonntagabend bei mir auf dem Sofa und tranken Bier, als er mich fragte was ich am nächsten Tag so vorhätte und sagte dass wir nach Berlin fahren werden. So fuhren wir also spontan die 3 Stunden nach Berlin und verbrachten eine weitere Stunde damit uns durch den Verkehr zu quälen und nach einer Abstellmöglichkeit für das Auto zu suchen (merkt euch eins: fahrt niemals mit dem Auto nach Berlin - es ist mörderisch).Nach einer halben Ewigkeit, in der ich einen Freund von mir als Navi am Telefon hatte, fanden wir einen Parkplatz - an dem wir vorher mindestens dreimal vorbei gefahren sind. Nachdem wir diese Sorge also nicht mehr hatten, spazierten wir auf dem Weihnachtsmarkt am Alex entlang, bestaunten die Buden und die Menschenmassen dort. Aufgrund dringender menschlicher Bedürfnisse standen wir kurze Zeit später im Alexa und waren überwältigt. Diese schiere Größe des Einkaufzentrums raubte uns den Atem und wir kamen nicht umhin wie kleine Kinder mit tellergroßen Augen staunend durch die Gänge und Läden zu laufen und uns daran satt zu sehen. Im Nachhinein habe ich festgestellt, dass wir nur einen winzigen Teil vom Alexa gesehen haben, aber dazu an einem anderen Tag mehr.

Nachdem wir wieder an der frischen Luft waren beschlossen wir, wie typische Touristen halt so sind, das Brandenburger Tor zu suchen. Zu dem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass der Weg doch ganz schön weit war - für uns jedenfalls. Das nette alte Pärchen, welches ich nach dem Weg fragte, schaute mich ganz entgeistert an als ich eröffnete dass wir zu Fuß dort hin möchten. Nachdem sie uns dann doch den Weg erklärten ging es endlich los. Direkt vor uns ging die Sonne unter und erschuf eine malerische Silhouette einer Kirche...schwarz vor dem strahlenden Gold der Sonne. Das war der Moment, in dem mein Herz für eine Sekunde aussetzte und ich mich endgültig in die Stadt verliebte. Schon während unserer Parkplatzsuche rief ich begeistert dass ich in diese Stadt ziehen will. Doch das und der noch kommende Anblick war der endgültige Moment um mein Herz zum rasen zu bringen. Wir bogen um die Ecke und vor uns lag Unter den Linden mit den geschmückten Bäumen, die - so kahl sie auch waren - durch die Lichterketten in ein traumhaftes Licht getaucht wurden und den Anblick der Straße zu etwas ganz Besonderem für mich machten.

(Mehr dazu Morgen - sonst wird es zu viel Text)

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